Traumtechnik

Wir schenken der Tatsache, dass es verschiedene Klangfarben (Tonalitäten) des Geistes gibt, nicht genug Bedeutung. Trotzdem ist dies tiefgreifend, möglicherweise biologisch bedingt.  Und wenn wir einmal darauf aufmerksam geworden sind, ist es nur, um sofort zu vergleichen und rangmäßig einzuteilen, eine Haltung, die ungefähr genauso treffend ist, wie die eines Arbeiters, der zu bestimmen versucht, ob der Hammer der Beißzange überlegen ist, oder ob die Säge über die Bohrmaschine erhaben ist. Wir nehmen nur sehr selten diese verschiedenartigen Nuancen des Geistes als die individuelle Verkörperung der vielfältigen Facetten des allgemeinen Talents unserer Art wahr. 
Und dann vergessen wir allzu oft, dass eine Fähigkeit, die unter bestimmten Umständen Wunderwerke hervorbringt, sich als hinderlich oder in anderen Zusammenhängen sogar als unangenehm oder schädlich erweisen kann. 


Mein Geist hat eine stark ausgeprägte textuelle Dominanz, die aber auf jeden Fall vielseitig genug ist, dass ich manchmal in der Lage bin, mir vorzustellen, sozusagen aus dem Innern heraus, was da in einem Geist anderer Tonalität vor sich geht. So habe ich schliesslich begriffen, dass Zazie sehr stark träumt und ihre visuelle Vorstellungskraft verblüfft mich jedes Mal, wenn sie mir Gelegenheit gibt, Mass davon zu nehmen. Zazie träumt so intensiv, dass man manchmal fast denken könnte, dass es nicht sie ist die zeichnet, sondern dass es ihre Träume selbst sind, die sich zeichnen. Dies erfordert eine visuelle Vorstellungskraft, über die ich leider nicht verfüge. 

 

Kalter Schweiß

Aber diese Vorstellungskraft hat auch ihre Kehrseite. Das heisst, dass Zazie oft viel mehr Schwierigkeiten hat als ich, sich von ihren Träumen zu lösen. So unangenehm es auch sein mag, wie soll man sich von einer Illusion lösen, deren Genauigkeit, Wahrscheinlichkeit und Wahrheit genauso stark, oder manchmal noch stärker ist, als die der Realität? Daher kommt manchmal der kalte Schweiß, auf den die Träumerin gerne verzichten würde. Was man darüber im ersten Augenblick auch denken mag, Träumen ist nicht gerade eine Tätigkeit der Erholung. Es bedarf dazu nicht nur des Talents, sondern manchmal auch des Mutes. 


Aber die Sache reicht noch weiter, und wie es Breton schon in den "Kommunizierenden Vasen" geschrieben hat, bleiben unsere Träume während der ganzen Zeit, in der wir wach sind, oftmals unter der Oberfläche unseres Bewusstseins präsent, ein bisschen wie eine Tapete oder ein Wasserzeichen auf welchem sich die Ereignisse des Tages abspielen. So erklärt sich bei Zazie das fast nicht zu unterdrückende Hereinbrechen ihrer Träume ins Herz ihrer Bilder, die sie am Tag macht und das Erscheinen der Bilder während der Ausarbeitung als Material ihrer Träume, die sie in der Nacht hat. Das heisst, dass Zazie ihre Träume genauso zeichnet wie sie ihre Zeichnungen träumt. 


Aus diesem Kommen und Gehen, aus diesem permanenten Dialog zwischen Traum und Virtuellem sind die Bilder dieser Ausstellung entstanden. Und es ist ein Glück und etwas Grossartiges, dass solche Dinge existieren, denn die "Virtuelle Realität" wurde bis jetzt nur in den Dienst des Realismus gestellt. Die Künstler beurteilen die Qualität ihrer Arbeit oft nur nach dem Grad, wie treu ihr Werk der "Realität" geblieben ist, das heisst, so wie es freundlicherweise Friedrich Nitzsche gesagt hat, nicht der Realität selbst, sondern der allgemein etwas beschränkten Idee, welche die Leute von der Realität haben.

 


Missbrauch der Werkzeuge

Die Respektlosigkeit Evi´s im Hinblick auf die "Virtuelle Realität" beschränkt sich nicht darauf, aus den graphischen Werkzeugen der Informatik genau das Gegenteil zu machen, wofür sie - mit viel Mühe - ersonnen worden sind. Nein. Weil es im Surrealismus seit mittlerweile fast 90 Jahren unerlässlich ist, respektiert Zazie die technischen Annehmlichkeiten nicht mehr als die anderen und sie missbraucht die Werkzeuge auf gut Glück und voller Unschuld auf alle möglichen Arten, die ihr einfallen. 


Denn man muss im vorliegenden Fall von Unschuld sprechen, weil ich zugeben muss, dass es wenig Beispiele gibt, wo ich gesehen habe, dass Zazie sich auch nur ein bisschen in dem Durcheinander  der Handbücher, seien es elektronische oder nicht, verirrt. Und ganz offensichtlich ist es nicht einfach Gleichgültigkeit ihrerseits, sondern reiner Zufall zu Beginn, dann schliesslich reiner Verstand, denn die Lebendigkeit ihrer Träumerei ist entschieden nicht zu vereinbaren mit dem steifen und didaktischen Stil der Gebrauchsanweisungen der Informatik. 


So dass der "Computer" - wie man sagt - im Grunde zu nichts Besonderem gut ist. Weil "der Computer" genauso eine Bequemlichkeit ist, wie jede andere und weil Zazie, durch ihren besonderen und hintergründigen Umgang damit, sich ihre Maschine und diese einzigartige Art und Weise sich ihrer zu bedienen erfunden hat. Das geht soweit, dass es noch immer oft genug vorkommt, dass ihre Arbeit einige Spezialisten nachdenklich stimmt: "Aha" murmeln sie "Ich wusste gar nicht, dass man so etwas mit diesem Werkzeug machen kann..." 

Auch ist es nicht so, dass die Technik der Ausführung in Zazie´s Werk im Dienst des Traumes steht, sondern eher, dass bei ihr die Technik selbst verträumt ist. Um es klar zu sagen geht bei Zazie - klarer als anderswo - die Technik aus dem Traum hervor